Havandyne

Havandyne

Rasse: Schamane, Geschlecht: weiblich

Nickname: Havandyne

Beschreibung

Die 22 Jahre alte Havandyne ist etwa 1,73 groß. Unter ihrem langen, tiefbraunen Haar schaut sie mit hellblau funkelnden Augen heraus. Sie trägt einen langen, leicht gräulichen Mantel, der den Eindruck erweckt, er sei ihr zu groß. Er geht ihr bis kurz unter das Knie und hat einen hohen Kragen, den Havandyne nie schließt. Auch die Ärmel des Mantels scheinen ihr viel zu lang zu sein, denn ihre Hände bleiben komplett darunter verborgen. An der Stelle der Ärmel, unter denen sich die Handrücken von Havandyne verbergen, ist auf beiden Seiten ein dem ägyptischen Ankh ähnliches Symbol aus einem silbrig glänzenden, harten Metall mit der Schlaufe in Richtung des Ärmelendes befestigt. Diesen Mantel trägt sie nie geschlossen. Darunter trägt sie kurzärmliges, weißes Hemd über dem sie ein für sie maßgeschneidertes, silbrig glänzendes, leichtes Kettenhemd trägt. Ihre langen Hosen, gleichfarbig zum Mantel, liegen fest an, lassen ihr jedoch eine große Bewegungsfreiheit.

Diese braucht sie auch, denn Havandyne ist eine Kämpferin, deren Kampfstil hauptsächlich auf Geschwindigkeit und Bewegung basiert. Die auf den ersten Blick unbewaffnete, schwache Schamanin kann die beiden Ankh-Symbole auf ihren Armen in zwei Kurzschwerter verwandeln. Über diese Fähigkeit verfügt sie aber nur im Trancezustand, wenn sie sich mit dem Geist eines Dieners ihrer Göttin ihren Körper teilt. Ihr Geist nennt sich Gnykan. Bei dieser Verwandlung der Ankh-Symbole bleiben die Henkel erhalten, die geraden Enden der Ankh verlängern sich zu etwa 60 cm langen Klingen, auch ihre körperlichen Kräfte steigen dann um etwa die Hälfte an, einzig ihre Schnelligkeit lässt sich dann nicht mehr mit menschlichem Maß messen. Sie kann sich dann so schnell bewegen, dass andere Wesen sie nur verschwommen, schattenhaft sehen können. Mit diesen Klingen kann sie auf zwei verschiedene Arten kämpfen. Entweder sie dreht die Klingen an ihren Armen so, dass diese nach vorne, mit der Schneide zur Handkante am Mantel befestigt sind, oder sie nimmt die Klingen in die Hände, wobei sie die Griffe ergreift, der sich bei der Verwandlung der Ankh zwischen Henkel und Querbalken gebildet haben. Lässt sie die Klingen am Mantel, dann sind diese mit ihrer Schamanenkraft, der Foryoku, so auf dem Mantel fixiert, dass sie nicht verrutschen oder abreissen können. Diese Kraft kann auch zur Verlängerung der Klingen mit Energie verwendet werden. Da die Foryoku Havandynes Energie ist, kann sie, wenn auch nur in Trance, diese beliebig formen und einsetzten. Havandyne nutzt ihre Fähigkeiten und ihre Schnelligkeit aufgrund ihrer großen Kampferfahrung sehr geschickt.

Aufgrund dessen, dass sie eine Schamanin ist, kann Havandyne Geister sehen und in die Seele ihres gegenüber blicken. Sie spürt Gefühle wie Hass, Angst, Wut und Hoffnung in anderen Wesen, auch wenn sich diese tief am Abgrund ihrer Seele verstecken. Havandyne kann den Inhalt von Erinnerungen anderer Wesen lesen, wenn diese Erinnerungen mit starken Gefühlen verbunden sind. Umgekehrt kann sie auch den Inhalt ihrer Gedanken an andere Wesen übermitteln. Diese Fähigkeit ähnelt der Telepathie, in den übermittelten Gedanken „hören“ andere Wesen jedoch keine Worte, sondern wissen einfach, was Havandyne sagen will.

Havandyne ist eine zwiegespaltene Person. Im normalen Umgang und im Zusammenleben mit anderen Personen ist sie sehr gutmütig und respektvoll. Sie ist hilfsbereit und sehr verständnisvoll, sie hasst es, wenn Personen wegen unsinnigen Gründen streiten. Sie ist ziemlich schwer durch Provokationen aus der Ruhe zu bringen. Auf der anderen Seite ist sie in Kämpfen unheimlich brutal und nutzt Schwächen ihrer Gegner, sofern sie welche findet, ohne zu zögern gnadenlos aus. Nur ihre Fähigkeit, in Trance zu fallen, verhindert, dass sie auch im normalen Zustand brutal und herzlos wird. Sie wurde vom Krieg zerrüttet, hat zu viele sterben sehen.

Geschichte

Alles begann friedlich. An einem angenehmen warmen Tag, nicht zu heiß, nicht zu kalt, verließ Havandyne ihr Haus, wie fast jeden Tag, und ging durch die Stadt, komplett in eins der ägyptischen Gewänder gehüllt, das ihre Kleidung zur Gänze verbarg. Alles war ruhig, noch konnte niemand ahnen, was hier in ein paar Stunden los sein würde. Als sie in einem der ärmeren Viertel der Stadt an ein schmutziges Hinterhoftor klopfte – dreimal, ihr Signal - dachte sie noch gut gelaunt, und doch leicht enttäuscht, wie schade es doch ist, dass sie ihren Glauben bei diesem schönen Wetter nicht in der freien Natur, sondern in einem modrigen Keller ausüben müssen. Es war eigentlich keine eigene Religion, sondern vielmehr eine starke Abwandlung der ägyptischen, wenn auch eine vom Pharao nicht geduldete. Wie dem auch sei, die anderen waren noch nicht da und sie hatte noch einiges vorzubereiten, war sie doch die Priesterin – besser gesagt, Schamanin.

Also nahm sie dem Hausherrn die Fackel ab, die dieser für sie vorbereitet hatte, und stieg die mehr einer Leiter als einer Treppe gleichenden Stufen in den modrigen Keller hinab. Unten angekommen sah sie sich erst einmal um, doch dieser Raum war wie immer, und das Gefühl der Todesangst einer großen Menschenmenge, das sie auf einmal überkam, verschwand so plötzlich, als wäre es nie da gewesen. Nun ihrer guten Laune beraubt, begann sie, nachdenklich, mit den Vorbereitungen für ihr heutiges Treffen. Kaum war sie fertig, kamen die ersten der anderen die Treppe herunter. Stillschweigend gesellten sie sich zu ihr, gesprochen wurde erst, wenn alle versammelt waren. Meistens war es ein eher fröhliches Schweigen, voller Erwartungen an das Treffen. Doch diesmal war es anders. Ein bedrücktes Schweigen hing in der Luft, doch so in Gedanken versunken, wie sie heute war, bemerkte Havandyne nicht, dass sie es war, von der die bedrückte Stimmung ausging. Diese Ahnung von vorhin machte ihr doch mehr zu schaffen, als sie zugab.

Endlich waren alle versammelt und sie musste, wohl oder übel, anfangen. Sonst freute sie sich immer auf ihre Treffen, doch heute wirkte es eher wie eine Last für Havandyne, sie wollte es schnell hinter sich bringen. Doch auch dazu sollte es nicht mehr kommen. Sie begann gerade ihren ersten Satz, die Begrüßung: „Willkommen, meine Freunde...“ – und wurde durch einen Schrei von oben unterbrochen. Es war der Hausherr: „Sie kommen! Die Truppen des Pharao haben uns gefunden!“ Schnell reagierte sie und drehte sich zu den anderen um, an einen großen Mann in der Mitte gewandt sagte sie: „Gabriel, warte, bis ich draußen bin und sie ablenke, dann führe die anderen durch den Hintereingang nach draußen.“ Danach zu allen: „Geht langsam, sobald ihr draußen seid und verteilt euch. Sie sollen keinen Verdacht durch große Gruppen schöpfen.“ Dann rannte Havandyne ohne ein weiteres Wort zu verlieren die Treppe hoch. Kurz blieb sie noch vor der Haustür stehen, um sich zu beruhigen, dann trat sie hinaus ans Tageslicht. Havandyne sah sich um. Vor ihr standen nur eine Handvoll gut trainierter Männer, sie waren bestimmt nicht hier, um sie alle zu fangen. Kaum erblickte sie der Anführer der Gruppe, bestätigte sich Gedanke als er sagte: „Wir sind nicht hier, um euch zu fangen. Der Pharao will euch sprechen, den anderen wird nichts geschehen.“ Einige der Männer schlossen einen Kreis um sie. Der Mann sprach weiter: „Wenn ihr uns bitte folgen wollt.“ Das war mehr ein Befehl, als eine Bitte, doch Havandyne entschloss sich dazu, ihr Folge zu leisten. Langsam setzte sie sich mitsamt ihrer Eskorte in Bewegung.

Am Palast angekommen, erwartete sie bereits der Pharao höchstpersönlich. „Willkommen, Schamanin Havandyne.“ Dann sprach er in einem barschen, befehlsgewohnten Ton zu seinen Leuten: „Verschwindet! Lasst mich mit ihr allein.“ Kaum waren die beiden allein, da ergreift Havandyne das Wort: „Wenn ihr wisst, wer ich bin, solltet ihr auch wissen, wozu ich fähig bin.“
„Gewiß weiß ich das, deswegen habe ich euch rufen lassen.“
„Und wenn ich euch töte?“
„Dann werden meine Soldaten sämtlich eurer Gefolgsleute töten, was auch passiert, wenn ihr nicht tut, was ich von euch verlange.“
„Wen soll ich töten? Ihr habt mich sicher nicht für irgendwelche weiblichen Dienste rufen lassen, ihr braucht mich als Mörderin.“ Havandyne sprach diesen Gedanken ohne nachzudenken laut aus. Ihr wurde erst bewusst, was sie gerade gesagt hatte, als der Pharao, grinsend, seine Antwort begann: „So ist es. Vor wenigen Stunden hat uns das Reich der Osmanen angegriffen. Sie sind stark und... so schwer es mir auch fällt, das zu glauben, mein Heer wird gegen sie verlieren, wenn nicht jemand ihren Anführer erledigt.“
„Wann?“ Havandyne fiel einfach nicht mehr ein. Ihr blieb keine andere Wahl.
„Jetzt sofort. Einer meiner Wachen wird euch durch einen Geheimgang vor die Tore der Stadt bringen. Wartet, bis es dunkel geworden ist und schleicht euch dann in das Lager der Osmanen.“ Er rief nach den Wachen. „Führt sie hin!“

Kurz bevor Havandyne und ihr Begleiter den Ausgang des Tunnels erreicht hatten, blieb ihr Begleiter stehen. „Von nun an müsst ihr alleine weitergehen, es ist nicht mehr weit.“ Mit diesen Worten drehte er um und verschwand mit seiner Fackel in der Dunkelheit des Tunnels. Dass er weg war, war ihr ganz recht. Nun konnte sie sich in aller Ruhe auf den Kampf vorbereiten. Sie schloss die Augen, machte ihren Geist frei von allen Gefühlen und konzentrierte sich nur auf die Dunkelheit vor ihr. Nach einer kurzen Weile öffnete sie ihre inzwischen leeren, nichtssagenden Augen wieder. Ein weiß schimmerndes Licht begann, langsam von ihren Ankh in ihren Körper zu fließen. Ihre Seele verschmolz mit dem Geist, den sie stets in ihren Ankh mit sich trug. Zuletzt drehten sich die Ankh und wuchsen zu Kurzschwertern heran, ihre Augen füllten sich mit neuem, weiß leuchtendem Leben. So zum Kampf bereit, trat sie aus dem Geheimgang aufs freie Feld.

Das Lager der Osmanen war selbst bei Nacht gut bewacht. Havandyne blieb nicht anderes übrig, als alle die sie sehen schnell genug zu töten, sodass die Wachen keinen Alarm schlagen konnten. Sie rannte so schnell und lautlos sie konnte bis zum Zaun des Lagers vor und kam – nicht zuletzt dank ihrer Schnelligkeit – ungesehen dort an. Nun musste alles schnell gehen. Mit einem blitzschnellen Seitwärtssprung flog sie einen halben Meter vor den beiden Torwachen von links nach rechts vorbei. Noch im Sprung, bevor die beiden Wachen auch nur wussten, was passierte, wurden sie von einem Schlag gesammelter, scharfer Foryoku enthauptet. Havandyne beendete den Sprung in einer schnellen Rolle diagonal in Richtung des Tores und huschte nur einen winzigen Moment später an den zusammenbrechenden Wachen vorbei ins Lager. Sie hatte höchstens ein paar Minuten, bis eine Wache bei ihrem Rundgang die beiden Enthaupteten vorfindet, doch das musste reichen. So schnell sie nur konnte, schlich sie im Schatten der anderen Zelte verborgen tiefer in das Lager, zum Hauptzelt, hinein. Kaum dort angekommen schnitt sie sich, ohne sich noch einmal zu vergewissern, ob sie wirklich allein war, ein Loch in die Rückwand des riesigen Zeltes und sprang hindurch. Nun hatte Havandyne keine Zeit mehr. Ihr Ziel stand direkt vor ihr und sah sie an. Sie musste ihn töten, bevor er schreien konnte. Ohne eine weitere Sekunde zu verlieren, sprang sie auf ihn zu, stieß ihm die linke Klinge ins Herz, direkt gefolgt von der rechten Klinge in den Kopf.

Ihr gesamter Oberkörper war mitsamt den Klingen überall mit Blut verschmiert. Havandyne sah an sich herab, dann an den Zelteingang. Mehrere Wachen standen da, einer hatte den Kopf von einem der beiden Enthaupteten in der Hand, und beobachteten die entsetzliche Szene, die sich ihnen bot, bis auch sie wieder zur Besinnung kamen und ihre Schwerter zogen. Nun hatte sie nur noch zwei Möglichkeiten: Versuchen durch das Loch im Zelt hinter ihr zu flüchten, oder sich freikämpfen, was sie konnte, jedoch nicht wollte. Es wurde schon genug Blut vergossen. Also zog sie die blutverschmierten Klingen aus dem Körper des Toten, drehte sie sich so schnell sie konnte um und sprang durch das Loch.

Viel Zeit, um nachzudenken, in welche Richtung sie gehen sollte, blieb Havandyne nicht. Kaum war sie draußen, kamen auch schon die Wachen um die Ecke gerannt. Ein lauter Gong-Ton gellte durch das Lager. Aus allen Richtungen wurde er mit lautem Geschrei in einer Sprache, die Havandyne nicht verstand, beantwortet. Waffen klirrten. Ein Schrei vom Lagereingang. Wie es den Anschein hatte, nutzten die ägyptischen Gruppen die Verwirrung aus, die Havandyne verursachte. So gelang es ihnen, innerhalb kürzester Zeit, die Befestigung zu überwinden und direkt in das Lager hineinzulaufen. Mühelos brachen sich die Ägyptischen Truppen ohne sichtbare Gegenwehr einen Weg zur Mitte des Osmanenlagers. Kurze Zeit später, für Havandynes trancegesteuertes Schnelligkeitsempfinden eine Ewigkeit, tobte der Kampf schon in ihrer Nähe. Doch sie wollte nicht mehr weiterkämpfen. Ihre Aufgabe war erfüllt. Mit der selben übermenschlichen Geschwindigkeit, mit der sie auch in das Lager eindrang, schlug Havandyne einen Weg quer durch den um sie herum tobenden Kampf ein, und verschwand in das Dunkel der Nacht. Nach einem kurzen Moment fand sie auch den Geheimgang wieder, durch den sie die Stadt verlassen hatte. ‚Nun’, denkt sie bei sich, ‚ist es an der Zeit, meine Leute zurückzufordern.’

Mit einer leuchtenden Aura aus Foryoku als Fackelersatz rannte Havandyne durch den langen unterirdischen Gang zum Keller des Palastes. Auf ihrem Weg nach oben in das Gemach des Pharaos kam sie durch mehrere vor wenigen Stunden noch stark bewachte Gänge. Nun waren sie alle leer. Offenbar hatte der Pharao sämtliche Kräfte gebündelt, um das Lager der Osmanen nach Havandynes Angriff zu überfallen. Der Mann war gerissen, auf keinen Fall durfte sie ihn unterschätzen. Am Gemach des Pharaos angekommen, sprang sie förmlich durch die Tür, ohne den Raum dahinter mit ihren Mentalen Kräften zu prüfen. Das war ein schrecklicher Fehler. Ein kurzer Blick durch den Raum genügte, um zu sehen, dass der Pharao mehrere Soldaten bei sich hatte. Ein Teil von ihnen befand sich hinter ihm, jeder der Soldaten hielt einem ihrer Leute ein Messer an die Kehle. Havandyne musste nicht hinter sich blicken, um zu „sehen“, dass auch hinter ihr mehrere Soldaten standen, sämtliche Speere auf sie gerichtet. „Willkommen, willkommen. Ich habe euch bereits erwartet“, ergreift der Pharao großmütig das Wort. Havandyne wog ihre Chancen ab. Die Soldaten töten? Unmöglich. Sie waren viel zu weit im Raum verteilt, um alle auf einmal erwischen zu können. Mindestens die Hälfte ihrer Leute würde sterben. Den Pharao als Geisel nehmen? Seine Soldaten würden auf der Stelle alle töten, eine Geisel wäre dann nutzlos, da Havandyne, wenn sie keine Rücksicht auf ihre Leute nehmen müsste, alle Soldaten hier problemlos töten konnte.
„Nehmt ihr den Mantel ab!“ Wieder der barsche, bellende Befehlston. Und Havandyne ließ es geschehen. Ihr blieb keine große Wahl. ‚Aber woher weiß er, dass der Mantel meine Waffe ist?’ Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie bald genug Zeit haben wird, um darüber nachzudenken.

Zuerst trat der Pharao an die nun etwas geistesabwesende Havandyne heran. Mit einer Stimme, die für diesen Wahnsinnigen viel zu sanft klang, sprach er sie an. „Ich werde mich später noch einmal mit euch unterhalten.“ Dann trat er wieder einen Schritt zurück. „Sperrt sie ein!“ Ohne sich noch weiter zu verteidigen, ließ Havandyne sich von den Wachen abführen, sie brachten Havandyne tief hinunter in das modrige Kellergewölbe des Palastes. Dort wurde sie eingesperrt. Wie viel Zeit vergangen war, bis man sie wieder holen kam, wusste sie nicht. Havandyne verlor ihr Zeitgefühl in dem nur von Fackeln erleuchteten und nach Verwesung stinkendem Loch, in dem man sie eingesperrt hatte. Schritte. Havandyne blickte auf. Zwei Soldaten kamen die Treppe herunter, dann auf sie zu. Der vordere der beiden öffnete ihre Zelle. Mit einem stummen Kopfnicken deutete er ihr an, dass sie ihm folgen sollte. Havandyne trat aus ihrer Zelle heraus und ließ sich von den beiden Soldaten, einer vor ihr, einer hinter ihr, wieder aus dem Kerker bringen. Irgendwo auf der Hälfte des Weges fiel ihr auf, dass die beiden Soldaten sie wieder zu den Gemächern des Pharaos führten.

„Ihr werdet morgen zur selben Zeit zu einer Audienz bei mir erwartet. Bis dahin dürft ihr euch überall frei bewegen. Solltest ihr aus der Stadt fliehen, oder eure Gefolgsleute befreien wollen, werden diese sterben“, begann der Pharao mit seiner Erklärung, ohne sich vorher mit Begrüßungen aufzuhalten. Havandyne bleib nur noch Zeit für einen kurzen Blick auf seinen königlichen Sitz, bevor die beiden Soldaten sie wieder aus dem Zimmer führten. Zwei Sklavinnen standen hinter dem Pharao und fächelten ihm wiederwillig ständig Luft zu. Verzweifelt schrieen ihre stummen Gesichter nach Hilfe, doch Havandyne konnte ihnen nicht helfen. Noch nicht.

Havandyne nutzte diesen „freien“ Tag, um das Haus ihrer Eltern aufzusuchen, in dem sie lebte. Ihre Eltern waren schon vor langer Zeit gestorben. Auf dem Weg dorthin machte sie kurz halt, um sich das mittlerweile angetrocknete Blut vom Leib und den Kleidern zu waschen. Direkt danach ging sie in ihr Haus und betrat ihr Schlafzimmer. Ohne sich auszuziehen ließ sie sich in den nassen Sachen einfach auf ihr Bett fallen und schlief nur Augenblicke später ein.

Ein alter Mann. Körperlos schwebt Havandyne in das Zimmer eines sterbenden alten Mannes. Doch er ist nicht allein. Ein kleines Mädchen sitzt an seinem Bett. Dann nimmt Havandyne eine Veränderung im Dimensionsgefüge wahr. Nun stirbt der alte Mann. Sein Geist löst sich aus seinem Körper. Für einen kurzen Augenblick schwebt der Geist des alten Mannes über seinem toten Körper, dann schwinden die Grenzen der Geistergestalt, die Seele des alten Mannes geht in die Geisterdimension über. Doch diese ganze Situation kommt Havandyne irgendwie... bekannt vor. Entgegen Havandynes Willen bewegt sich das Gedankengebilde, dass sie darstellt weiter auf die Situation zu. Innerlich will sie nicht hinschauen, hat Angst davor, hinzusehen, doch sie weiß, wen sie ansieht, wenn sie dem Mädchen ins Gesicht schaut. Havandyne kennt diese Situation und sie muss sich ihr stellen, doch sie will nicht. Das kleine Mädchen, dass die ganze Zeit so still neben dem sterbenden alten Mann saß, fängt nun, da auch dessen Geist verschwunden ist, an zu weinen. Dann schaut das kleine Mädchen auf, als hätte es Havandyne bemerkt und würde sie direkt ansehen. Havandyne blickt in das kleine tränenverschmierte Gesicht. ‚Es ist mein eigenes’, erkennt sie, nur einen Wimperschlag später hat sich die ganze Szene in Luft aufgelöst und Havandyne befindet sich an einem Zeit- und „Lebenslosen“ Ort. Nur sie und das Nichts. Obwohl nur ihre Gedanken dieser Sterbeszene beiwohnten, muss Havandyne feststellen, dass nun auch sie, ihr erwachsenes Ich, weint.

Mit tränenverschmiertem Gesicht wachte Havandyne auf. Durch einen halb zugezogenen Vorhang drang das blutrote Licht der aufgehenden Sonne in ihr Schlafzimmer ein. Immer noch mit dem schrecklichen Bild ihrer weinenden früheren Ichs vor Augen, strich Havandyne sich über das Gesicht. Ihre Augen waren trocken, die Wangen heiß. Solch einen Alptraum hatte sie schon lange nicht mehr. Bisher waren diese Alpträume immer mit einer Warnung vor etwas Schrecklichem verbunden. Was wird es diesmal sein? Der Tod ihrer Leute, oder vielleicht sogar ihr eigener? Darüber nachzudenken führte zu nichts und so schob Havandyne den Gedanken zur Seite, hob ihn für später auf. Falls es ein Später gibt. Havandyne erinnerte sich an die Worte des Pharaos. *Morgen um die selbe Zeit*. Die Sonne ging erst auf, der Pharao erwartete sie bei Sonnenuntergang in seinem Palast. Sie setzte sich neben ihr Bett, an die Stelle, an der sie schon um ihren Großvater trauerte. Dort blieb sie sitzen. Mit einem leisen eintönigen Singsang auf den Lippen, begann sie, langsam ihren Geist zu leeren, frei zu machen von allen Gedanken. Bis zum Nachmittag blieb sie in dieser Position sitzen und hielt den Trancezustand aufrecht. Sie brauchte viel Ruhe, um das Treffen mit dem Pharao überstehen zu können. Am späten Nachmittag unterbrach sie ihre Trance und verließ ihr Haus, um sich auf den Weg durch die Stadt zu machen. Wahrscheinlich zum letzten Mal.

Beim Palast angekommen, wurde Havandyne sofort von einem Soldaten in einen großen Saal geführt. Er sagte ihr, sie solle hier warten und ging wieder zurück zu seinem Posten. Der Raum war leer. Havandyne musste lange warten. Gerade als sie schon dachte, der Pharao käme heute nicht mehr, öffnete sich die Tür und er trat ein. Ihm folgte an großer, maskierter Mann. Er trug die Maske des Luftgottes Horus. Trotz der merkwürdig flimmernden Luft um den Maskierten herum, hatte Havandyne das Gefühl, ihn zu kennen. Mehr konnte sie im Moment nicht über ihn herausfinden, denn der Pharao gebot ihnen sich zu setzen. Dieser „Bitte“ mussten sie bei Folge leisten. „Ihr beiden werdet von nun an für mich kämpfen. Ihr wisst, was passiert, wenn ihr das nicht tut. Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Ihr überlebt, erlangt Ruhm für euren Pharao und euch wird es gut gehen. Wir brauchen dann auch niemanden zu töten. Ich gebe euch gleich jetzt einen Auftrag. Morgen früh bei Sonnenaufgang werdet ihr mit meinem Heer zu einer Schlacht ausrücken. Ich habt beide ein Zimmer auf meinem Palast, könnt euch aber auch in der Stadt frei bewegen.“ Mit diesen Worten verließ der Pharao den Saal.

Es schmerzte ihn sehr, dass er Havandyne all die Zeit über verraten hatte. Ihre Freunde wurden im Laufe der Zeit auch seine Freunde. Hätte Gabriel gewusst, dass es so kommen würde, hätte er den Pharao schon bei seinem ersten Treffen getötet. Es war viel Gold im Spiel und seine Familie war arm, aber... war es das wirklich wert gewesen? Havandyne ging gerade auf ihr Zimmer, jetzt konnte er seine Maske auch abnehmen. Er beschloss, wenigstens dafür zu sorgen, dass sie nicht so schnell stirbt. Also nahm er das vorerst letzte Gold des Pharaos und ging in die Stadt. Zuerst ging er zur Schneiderin, die ihr immer die Kleider machte. „Kannst du mich zum Schmied begleiten? Ich brauche für Havandyne ein maßgeschmiedetes Kettenhemd und du bist die einzige, die es für Havandyne perfekt passend an den Schmied weitergeben kann. Ich werde dich auch bezahlen.“ Die Schneiderin willigte ein, immerhin war es für eine langjährige Freundin. Außerdem... hieß ein Kettenhemd nicht, dass Havandyne in Gefahr war? So ließ sich die Schneiderin von Gabriel zu dem besten Schmied der Stadt führen. Diesem erklärte er, was er von ihm verlangte. „Schmiede ein Kettenhemd aus dem stärksten und leichtesten Metall, das du hast, nach den Anleitungen dieser Schneiderin. Ich bezahle alle deine Kosten und gebe dir noch etwas mehr, denn es muss bis morgen kurz vor Sonnenaufgang fertig sein.“ Nachdem er seinen Wunsch geäußert hatte, ließ Gabriel den Schmied und die Schneiderin zu Werke gehen und setzte sich vor die Schmiede. Bis spät in die Nacht hinein hörte er noch die Stimmen des Schmiedes und der Schneiderin, dann sank ihm der Kopf auf die Brust und er schlief ein.

Früh am Morgen wurde er vom Schmied geweckt. Es war noch dunkel, doch die Sonne würde bald aufgehen. „Herr, ich habe euer Kettenhemd fertiggestellt. Ich habe eine geheime Mischung der edelsten Metalle verwendet, die ich besaß.“ Hinter dem Schmied stand die Schneiderin, beide hatten vor Müdigkeit gereizte Augen. Sie wollten ihren Lohn. Gabriel holte seinen Beutel voll Gold hervor und bezahlte beide. Genug, um sich ein Haus zu kaufen und mehr, als sie jemals von einzelnen Personen erhalten würden. Der Schmied bekam etwas mehr, hatte er schließlich die Materialkosten. Doch beide schienen mit ihrer Bezahlung mehr als zufrieden zu sein. Gabriel nahm das Kettenhemd und eilte zum Palast.

Es war noch früh, Havandyne wurde durch das Knarren ihrer Zimmertür geweckt. In der Tür stand der Maskierte, doch diesmal, Havandyne musste zweimal hinsehen, hatte er seine Maske nicht an. „Gabriel!“ Gabriel trat näher, er trug ein sehr wertvoll aussehendes Stoffbündel in den Armen. Er legte es ihr ans Fußende ihres Bettes und sagte, ohne sie anzusehen: „Nimm! Dafür, dass ich dich verraten habe, ist es das mindeste, dass ich tun kann, damit du nicht stirbst.“ Er drehte sich wieder um und ging wortlos aus dem Raum, ohne sich noch einmal umzublicken. Havandyne stand auf, ging zu dem Bündel. Nun wollte sie doch wissen, was darin ist. Es war ein Kettenhemd, hatte den Glanz eines prachtvollen, ihr unbekannten Metalls. Es muss sehr wertvoll sein. Havandyne zog es über ihre Kleidung, es fühlte sich an, als wäre es ein Teil von ihr, wie für sie geschmiedet. Wahrscheinlich war es das auch, doch wie Gabriel das gemacht hatte, war Havandyne unvorstellbar.

Kurz vor Sonnenaufgang. Das Heer versammelte sich bereits vor dem Palast. Auf dem Weg nach draußen traf Havandyne wieder auf Gabriel. Beide waren sie unfähig ein Wort zum anderen zu sagen und so gingen sie schweigend nebeneinander her. Beim Heer angekommen, erwartete sie bereits der Pharao. „Ihr beiden werdet an der Spitze kämpfen.“ Einer seiner Diener gab ihr ihren Mantel zurück. Mit einem kurzen Befehl der Heerführer setzte sich das Heer in Marsch. Havandyne und Gabriel schlossen zu den anderen Führern an der Spitze auf. Lange marschierten sie schweigend nebeneinander her, bis in der Ferne am Himmel Rauch aufsteigt. Sie hatten das Lager gefunden, gleich würde der Kampf losgehen. So passierte es auch. Auf der Hälfte des Weges wurden sie abgefangen. Ihnen gegenüber standen die Bewohner des Osmanischen Lagers. Nur kurz standen sich die beiden Heere schweigend gegenüber. Schon bellten die Anführer beide Heere Befehle uns rannten aufeinander zu. Havandyne fiel erst ein wenig zurück, dann reagierte sie und ging in den Over Soul über. Problemlos holte sie die anderen Soldaten wieder ein und kam sogar noch vor diesen in Angriffsreichweite. Havandyne sammelte alle Foryoku, die sie entbehren konnte und zog die so stark verlängerte linke Klinge von rechts nach links durch das Heer. Ihr fielen vordersten Reihen zum Opfer, die sofort zusammenbrachen. Nun hatte sie nur noch genug Foryoku um eine etwas überlegene Geschwindigkeit und die Klingen aufrecht zu erhalten. Im Eifer des Gefechts, zwischen all den sterbenden Menschen, erblickte sie Gabriel aus den Augenwinkeln, wie er auf die Flanke des gegnerischen Heeres zulief. Unterweg begann er, sich um sich Selbst zu drehen, daraus bildete er einen Wirbelsturm. Gabriel blieb stehen, doch der Wirbelsturm ging weiter, fegte durch die gegnerischen Reihen. Havandyne kämpfte sich durch, bis sie in Gabriel Nähe war. Dieser sah sie und rannte auf die zu. Doch Havandyne wusste nicht, warum. Im nächsten Moment spürte sie, warum. Einer der gegnerischen Soldaten hatte erkannt, dass sie die meisten seiner Kameraden tötet und rammte ihr eine dünne Speerspitze durch den Rücken. Die Spitze war dünn genug, um durch die Löcher des Kettenhemds zu dringen.

Havandyne schrie auf. Der Kampflärm verblasste. Dann sah sie Bilder aus ihrem Leben.
Ihr sterbender Großvater; Das Kopfschütteln ihrer Eltern, als sie ihnen von dem Geist des Großvaters erzählte; Ihre Ankunft beim Hohepriester, der sie von der „Wahnkrankheit“ befreien sollte; ihr erstes Treffen mit ihrem Geist Gnykan vor dem Altar; das Foryoku-Training beim Hohepriester, der selbst Schamane war und ihr alles beibrachte, was sie wissen musste; ihre Treffen mit den anderen; das überraschte Gesicht des Mannes, dem sie ihre Klingen durch Kopf und Herz stieß; aus. Dunkelheit. Ein Schrei. Gabriels Schrei. Schmerzgeblendet öffnete Havandyne ihre Augen. Sie war nicht tot, doch es fehlte nicht mehr viel. Dann sah sie etwas Leuchtendes. Mit letzten Kräften robbte sie darauf zu. „Licht... ist... Hoff... nung“ würgt sie mühsam hervor. „Nicht... auf... geben.“ Als sie schon dachte, sie erreiche das Licht nie, zog es sie an. Das Licht wirkte wie ein Magnet auf Havandyne und nahm sie in sich auf. Einen kurzen Moment alles hell, dann eine Ewigkeit alles dunkel. Havandyne hatte das Gefühl, Jahrhunderte in dieser Dunkelheit zu hängen. Dann schloss sie die Augen, sie war des Sehens müde. Irgendwann wachte sie auf, geweckt von leisem Vogelgezwitscher und fand sich wieder, in einem völlig fremden Wald. Ihre Wunde war verheilt, sie schien wohl wirklich Zeit und Raum im Dunkel überdauert zu haben.